Trink—Genosse: Was ist eigentlich geil(!!!)?

Geil - Geil - Geil!!!

Szene: Ein eingeschworener Haufen junger Frauen und Männer sitzt um einen Tisch in einer alten Werkstatt in einem Kölner Hinterhof, jede und jeder denkt über eine Frage nach, ihre individuellen Antworten werden diskutiert und in gemeinsame Antworten zusammengefasst. Eine dieser gemeinsamen Antworten ist: „Geil!!!“. Die Frage war: „Wer sind wir, was können wir, und was werden wir?“ Ein Ausrufezeichen pro Teilfrage. Dieser Haufen findet sich geil, kann geil und will geil werden. Die geilen Frauen und Männer planen, eine geile Genossenschaft zu gründen und eine geile Bar zu eröffnen: Eine geile Genossenschaftsbar.

Ist das geil? Was ist eigentlich geil?

Wikipedia sagt: Das Wort geil kommt vom mittelhochdeutschen geilen, erfreuen, und unter anderem vom niederländischen gijlen, gären. Zumindest die Holländer – in der Vorstellung des Autors sind es eher die flämischen Belgier, denn die brauen das bessere Bier – scheinen da schon mal einen engen Zusammenhang von geil und Bar vorzuleben. Dazu passt die Wortbedeutung vom indogermanischen ghoilo-s: aufschäumend. Auch eine andere sprachgeschichtliche Verbindung wird hier noch von Bedeutung sein: Die sogenannte Vergeilung ist ein Vorgang, bei dem Pflanzen trotz mangelnden Lichts wachsen. Doch dazu später mehr.

Die individuellen Antworten, die die Aktivistinnen und Aktivisten zum geil mit drei Ausrufezeichen geführt haben sind „Humor“, „Spaß“, „Spaß machen“, „Rausch“, „Baby“, „Gerüche“, „eigener Stil“, „Ort, in dem ich mich gerne aufhalte“ und „eine geile Bar“. Klar, geil kann auch einfach das bessere gut sein. Oder, in diesem Sinne, das geilere gut. Besonders immer dann, wenn es um guten Zeitvertreib geht: Eine geile Zeit hat Juli und jeder, der viel Spaß hat. Dass geil diese sehr simple Bedeutung hat, und wir vielleicht nicht mehr wissen müssen für eine Antwort auf die Frage dieses Artikels: ja. Aber das wäre langweilig und macht keinen Spaß, und ist damit nicht geil, und eine simple Antwort passt nicht zu einer nicht besonders simplen Genossenschaftsbar.

Dass geil für uns oft einfach gut bedeutet, kommt ja daher, dass wir schließlich angefangen haben, für die, die etwas gut finden, und das, das sie gut finden, ein und das selbe Wort zu verwenden. Menschen, die sexuell erregt sind, nennen wir geil. Das, was sie sexuell erregend finden, nennen wir auch geil. Solch eine Umarmung von sprachlicher Verwirrung sollten wir uns nicht angewöhnen: Wenn Staus auf der Autobahn erst mal wütend sind, Menschen, die keinen Kaviar mögen, eklig, und Panzer tot, wird sich niemals mehr jemand in der deutschen Sprache zurechtfinden. Jede AfD-Wählerin wird lieber Arabisch sprechen, weil im Deutschen plötzlich auch all das als rechts bezeichnet wird, worüber sie sich erregt, und aber zu ihrer folgerichtigen Demo gegen Rechts immer die falschen Leute kommen.

Nun, die jungen Frauen und Männer, von denen die Rede war, sie sind tatsächlich erregt. Die Bar soll für sie und alle, die sich beteiligen wollen, eine Wiederaneignung öffentlichen Raumes sein, die Genossenschaft eine kapitalismuskritische Alternative zum üblichen Wirtschaften, und die gemeinsame Gestaltung von öffentlichem Raum und eigener gesellschaftlicher Verfasstheit ein Experiment in Demokratie. So viel Idee kann einen schon mal erregen und das ist wohl auch gut so, denn es wird all ihre Lust brauchen für die Anstrengungen, die noch vor ihnen liegen. Zum Glück steckt bei den Genossen – und so altertümlich dieses Wort klingen mag, so trifft es doch fraglos zu – der Lustgewinn schon in der Bezeichnung.

Aber die jungen Frauen und Männer sind nicht nur tatsächlich erregt: sie sind auch tatsächlich erregend. Das ist ihr erklärtes Ziel. Die Gestaltungslustlosen und Wirtschaftslustlosen und Demokratielustlosen sollen von der Idee zu Gestaltungs-, Wirtschafts-, und Demokratielustigen erregt werden. Wobei diese Formulierung natürlich unfair ist, es gibt Gestaltungs- und Wirtschafts- und Demokratieratlose, die durchaus Lust haben, aber nicht wissen, wohin mit ihr. Auch dafür haben die Aktivistinnen und Aktivisten einen Plan: Ihre Erfahrungen, ihre Methoden zur Entscheidungsfindung, und auch ihr Geld wollen sie mit allen teilen, die lustig sind. Denn geile Bars und geile Genossenschaften braucht es wohl nicht nur in Köln.

Geil hat aber auch negative Konnotationen, die hier nicht unterschlagen werden sollen. Klar, Erregung, besonders sexuelle, die nicht auf Gegenlust stößt, kann für alle Beteiligten ganz schön unangenehm sein. Das wissen auch die Aktivistinnen und Aktivisten, und hoffen auf viel Gegenliebe. Aber geil bedeutet oft auch gierig, und Gier ist vermutlich etwas, mit dem sich die Genossinnen und Genossen bei ihrem Projekt für eine alternative Wirtschaft und eine alternative Wirtschaft nicht identifizieren. Bei aller bisherigen Bestätigung ihrer These, sie seien, könnten und würden geil, ist das vielleicht ein erster Hinweis darauf, dass sie es doch nicht sind, können und werden. Oder?

Gierig zu sein heißt, den ständigen Gewinn einer Ressource anzustreben. Als geldgeil wird bezeichnet, wer sich für immer mehr Geld unverhältnismäßig anstrengt, entsprechend verhält sich das bei den Begriffen macht- und karrieregeil. Das geht weiter bis zum Berauschen an dieser Ressource, wir sprechen dann nicht mehr vom Adrenalingeilen, sondern vom Adrenalinjunkie, die Kritik ist jedoch beim -geil wie beim -junkie immer inbegriffen. Vom Rausch haben auch die Genossinnen und Genossen im Zusammenhang mit geil gesprochen, und Bestrebungen sind bei ihnen klar erkennbar. So leid es mir tut, das sieht schwer nach Gier aus.

Auch die Genossinnen und Genossen können nicht bestreiten, dass ihr Ziel Geld ist, um ihre Ideen finanzieren zu können, und ihr Ziel Macht, um ihre Ideen umsetzen zu können, und ihr Ziel Karriere ist, um ihrer Idee Ansehen zu verschaffen. Doch wenn Geld, Macht und Karriere – hier bloß Beispiele für jede mögliche Gier – für die Genossinnen und Genossen nur Mittel zum Zweck sind, dann muss ihre Gier wohl etwas anderem gelten: Der Idee. Die gierigen Genossinnen und Genossen sind ideengierig; die geilen Frauen und Männer ideengeil. Doch nicht nur das, sie sind sogar die schlimmste Form von gierig, die schlimmste Form von geil: Sie sind notgierig, notgeil.

Denn dieser geile Haufen Frauen und Männer befindet sich in Not. Zulange haben sie, haben alle unter den Entbehrungen gelitten: Der Entbehrung, öffentlichen Raum nicht mitgestalten zu können; der Entbehrung, von der Wirtschaft zum Objekt gemacht zu werden; der Entbehrung, trotz unserer Demokratie machtlos zu sein. Die Stadt ist in Not, der Mensch im Kapitalismus ist in Not, und spätestens seit ein paar Jahren ist auch die Demokratie in Not. Kneipen werden von Ketten bedroht, wie die Freiheit. Und das Zusammenleben und Zusammenarbeiten von Vielen und Vielseitigen wird von Rechten bedroht, wie ein autoritäres (oder kapitalistisches) System. Doch die Aktivistinnen und Aktivisten haben entschieden den Spieß umzudrehen (von rechts nach links), und hier statt ihrer Not den Ton anzugeben.

Und dieser Punkt ist es, der uns vom geilen Bier und dem besseren gut, über das erregt sein und erregend sein, über das gierig sein für das Richtige und das notgeil sein vor Entbehrung schließlich zum Prozess des Vergeilens führt. Der Ort und die Zeit für eine gestalterische, eine kapitalismuskritische, eine demokratische Aktion mag hier und heute denkbar ungünstig sein: wenn die Gestaltung vor dem Klimawandel in die Knie geht, die Kritik vor dem Lobbyismus, und die Demokratie vor den Autokraten. Doch wenn diese Aktion in diesem gesellschaftlichen Dunkel über sich hinaus wächst, wie es Pflanzen tun, wenn sie im physikalischen Dunkel stehen, dann hat sie sich vergeilt und dann dürfen die Genossinnen und Genossen mit Fug und Recht von sich behaupten: Wir sind geil geworden und wir können geil und wir sind geil.

Was die jungen Frauen und Männer, und all die, die noch zu ihnen stoßen, allerdings nie von sich behaupten würden, was sowieso niemals ein Mensch von sich selbst oder etwas beliebig anderem behaupten sollte, ist, dass sie oder sie oder er oder es geilo seien oder geilo sei. Das sprengt das Verständnis der größten Sprachwissenschaftler und selbst dieses Autoren. Der indes inständig hofft, mit diesem Text die richtige Antwort auf die richtige Frage gefunden zu haben, nämlich dass die oben gestellte Frage wirklich hieß, was eigentlich „geil“ sei, und nicht was „eigentlich geil“ sei. Das Ergebnis würde wohl deutlich weniger enthusiastisch ausfallen.